Entwicklungshilfe – ist das überhaupt noch zeitgemäß?
Entwicklungshilfe hat heftige Kritik aus dem Trikont erfahren. Die Vorwürfe: zu teuer, kontraproduktiv oder ineffizient, eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für westliche Sozialarbeiter, instrumentalisiert für nationalökonomische Vorteile für die Geberstaaten, den lokalen Bedingungen unangemessen. Vieles der Kritik lässt sich in Ghana nachvollziehen – leere NGO-Büros, ein Ringen um Standorte und Themen, unausgebildete westliche Jugendliche auf Positionen, die eigentlich Profis erfordern würden, Arroganz von Institutionen.
Allerdings wendet sich ein Großteil der Kritik gegen Entwicklungshilfe gegen Mega-Organisationen und staatliche Entwicklungshilfe, die Gelder direkt an korrupte Diktaturen überweist und diese dadurch stärkt.
Unsere Organisation „Hilfe für Hexenjagdflüchtlinge“ hat sich im Verein mit dem ghanaischen „Witch-hunt Victims Empowerment Project“ zur Intervention aus humanitären Gründen entschlossen. Der ghanaische Staat hat über lange Zeit kein Interesse an diesem komplexen Problem gezeigt und wird von vielen vor Ort als unwirksam oder bedrohlich erfahren.
Wir wollen die Individuen in den Ghettos für Hexenjagdflüchtlinge vor Siechtum, extremer Armut und Unfreiheit bewahren, weil sie in der ghanaischen Gesellschaft auf absehbare Zeit kein Gehör erhalten werden. Wir vereinigen 20 Jahre professionelle Erfahrung im praktischen Umgang mit Hexenjagden und Hexenjagdflüchtlingen und mehr als 10 Jahre wissenschaftlicher Forschung über Hexenjagden. Für das Spezialproblem der Hexenjagden haben wir lokal angepasste, hochspezifische Strategien entwickelt, die wir ständig prüfen und aktualisieren.
Ständiger Austausch durch Präsenz
Die täglichen Besuche unseres ghanaischen Teams in einem der Asyle geben den sozial isolierten Frauen einen Halt. Simon Ngota, Evelyn Ngota und Martina Ayaab fördern allein durch ihre Präsenz das Selbstbewusstsein der Frauen in den Asylen. Sie beraten, helfen und klären auf.
Durch diese ständige Präsenz vor Ort kann das Team dynamisch auf neue Situationen reagieren. Unser Projekt ist das einzige in Nordghana, das alle Asyle kennt und regelmäßig besucht. Auch in Kukuo leisten wir regelmäßige Besuche, obwohl unsere Mittel derzeit nicht ausreichen, dort zu intervenieren. Durch unsere Besuche sind wir die einzige Organisation, die zuverlässige Daten über die Gesamtsituation hat. Leider wurde das wichtig, weil seit neuestem wieder falsche Zahlen in Umlauf gebracht wurden von Organisationen, die nie in den Asylen waren.
Ökonomie
Wieviel an Versorgungsleistungen und Aufbauhilfen notwendig ist, wird mitunter von der Ideologie der „Anschubfinanzierung“ und der „Hilfe zur Selbsthilfe“ verdeckt. Mit einem Startkapital von 50 Euro können allenfalls kurzfristige Krisen überbrückt werden. Das gängige Ideal der Subsistenz bedarf heute eines größeren Kapitalaufwandes für Schulgeld, medizinische Versorgung. Es sollte zu denken geben, dass in den Industriestaaten Subsistenzlandwirtschaft praktisch unmöglich geworden ist.
In der Vergangenheit scheiterten andere Projekte in den Ghettos in Nordghana daran, dass sie die Komplexität von Produktionsketten unterschätzt haben. Gespendete Maschinen erfordern Wartung und Ersatzteile – Getreidemühlen waren nach kurzer Zeit unbrauchbar. Materialspenden wurden rasch von Verwandten mitgenommen, die Fahrräder besser gebrauchen konnten als die Großmütter. Die Gemeinden ringsum wachen stets mit Argusaugen, ob der ökonomische Status der Frauen standesgemäß ist.
Angesichts der begrenzten Handlungsspielräume im Bereich der sogenannten Mikro-Ökonomie möchten wir die Unterstützung auf bewährte, arbeitsarme, unauffällige, aber sichere Produktionsweisen und den vermittelten Verkauf auf lokalen Märkten beschränken: Nahrungsmittel für den Eigenbedarf, Seife, einfachere Shea-Butter-Kosmetika, Moringa-Pulver, Schmuck und Zahnholz.
Wir haben uns dagegen entschieden, für den westlichen Markt zu produzieren und zum Beispiel Schmuck zu exportieren, da der lokale Markt recht gut ist.
Trotz vieler Vorschläge: Wir können leider in den Camps keine Töpferei einrichten. Der Lehm muss arbeitsintensiv gegraben werden, das Feuerholz zum Brennen ist eher knapp und nur relativ wenige Frauen verstehen sich wirklich auf die Töpferei.
Wir wollen die alltägliche Arbeit der älteren Frauen, die zu einem Großteil aus Wasserholen, Brennholz suchen, Kochen und Nahrungsmittelaufbereitung besteht, nachhaltig und effizient erleichtern und verringern, und nicht mit arbeitsaufwändigen Manufakturen vermehren.
Aufklärung und Bildung
Schulen gibt es in den Konkomba-Gebieten erst seit wenigen Jahrzehnten. Keine der Frauen in den Camps konnte bis 2012 lesen oder gar schreiben. In Kooperation mit der dänischen Organisation „Seniors without Borders“ wurden Lehrer angeheuert, die in Teilzeit Alphabetisierungskurse in den Camps geben. Leider mussten wir diese wieder aufgeben – man wird aber in den Camps nun mit „Good morning“ begrüßt. Regelmäßig werden die Frauen über ihre verbrieften Rechte als ghanaische Staatsbürger aufgeklärt. Unser Team legt großen Wert auf Aufklärungsunterricht über Hygiene und gesundheitliche Fragen.
Unser Herzstück aber sind Drama-Groups. Durch einen professionellen Trainer wurden zehn Frauen in Gushiegu zu Laienschauspielern ausgebildet. Mit unserem Auto fahren sie dann zu Märkten in der Umgebung. Dort führen sie erst einen Tanz auf, um Publikum anzulocken. Dann inszenieren sie eine Anklage nach. Danach halten Angeklagte und Simon jeweils eine Rede, häufig kommen auch spontan Frauen aus dem Publikum nach vorne und erzählen von ihrer Anklage.
Workshops mit Chiefs und anderen lokalen Autoritäten (Polizisten, Priester) organisieren diese gegen die jungen Männer, die häufig hinter Anklagen stecken.
Unsere Möglichkeiten
Das Projekt erhält von uns derzeit ein Budget von ca. 500 Euro pro Monat. Eine etwas größere Summe kommt vorerst noch weitere zwei Jahre von der dänischen Organisation „Seniors without Borders“. Wir möchten in absehbarer Zeit zwei weitere Sozialarbeiter für die größten Asyle in Tindang und Kukuo gewinnen, die vor Ort stationiert sind. Unser Büro in Gushiegu würden wir gerne ausbauen mit einer weiteren Stelle. Mehr Spenden würden uns erlauben, die Besuche in den Dörfern zu intensivieren und mehr Rücksiedelungen zu organisieren. Da es auch in Burkina Faso und vermutlich auch in Togo ähnliche Einrichtungen gibt, haben wir Möglichkeiten, dort die gesammelten Erfahrungen weiter zu geben und auszutauschen.
Unser Ziel ist vorerst, allen 1200 Hexenjagdflüchtlingen in Nordghana eine würdige Existenz zu ermöglichen.
Gibt es Risiken?
Interventionen bergen immer Risiken von Fehlentwicklungen. Das gleiche gilt für Nichtinterventionen. Zwei realistische Befürchtungen können wir ausräumen:
– Eine höhere Lebensqualität von Hexenjagdflüchtlingen führt keinesfalls dazu, dass Menschen Hexereianklagen erfinden, um sich Vorteile zu verschaffen. Sie führt auch nicht zu mehr Anklagen in den Dörfern.
– Reintegrationen von Flüchtlingen führen nicht zu einem Anstieg von Hexereianklagen. In Dörfern, in denen mehrere Rücksiedelungen stattfanden, bildet sich meist ein Rechtsbewusstsein: Die Hexereianklage wird in Frage gestellt.
Unser Team kann vor Ort rasch und kompetent auf eventuelle Veränderungen und Nachteile reagieren.
Erfahrungen
Die Erfahrung zeigt: Im Allgemeinen verbessert sich das Verhältnis der umliegenden Gemeinden zu den Hexenjagdflüchtlingen durch die Intervention stark. Man traut sich eher, zu helfen, krasse Stigmatisierungen wie öffentliche Schmähungen oder Steinwürfe durch Kinder verschwinden.. Die Asyle wurden in einigen Fällen vormals als “Gefängnisse” wahrgenommen, in denen die “inhaftierten Hexen” ihre “gerechte Strafe” leiden müssten. Nun sehen die Ankläger und Menschen mit Ressentiments, dass man gefahrlos mit “Hexen” arbeiten und essen kann, dass Menschen überall auf der Welt sich mit ihnen solidarisieren. So wird das Stigma, das auf den Flüchtlingen lastet, durchbrochen.
Aber auch ihre Ankläger sehen, dass andere Menschen diese Frauen nicht für Hexen halten oder zumindest ihnen dennoch Gutes tun wollen. Das stiftet eine Verwirrung, die aller Erfahrung nach positiv sich auswirkt, Zweifel schafft und hilft, Traditionen und kollektive Meinungen zu hinterfragen. Dazu gehört folgendes Ereignis: Die Frauen in Kukuo, dem größten Ghetto, drohten mit einer Nackt-Demonstration für den Fall, dass der Lynchmord an einer alten Frau im 300 km entfernten Tema ungesühnt bleibe. Sie stellten damit sämtliche Hexereianklagen und Lynchmorde in Frage – ein positiver Effekt der Asyle, den wir in allen Asylen fördern wollen.
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