Moderne Hexenjagden

Die globale Situation

Hexenjagden sind ein aktuelles Problem. Während der letzten 100 Jahre sind vermutlich mehr Menschen durch Hexenjagden ermordet worden als durch die historischen Hexenjagden im Europa der Rennaissance und des Barock. Hier geht man von 40.000 bis maximal 120.000 Todesopfer aus. Im 19. Jahrhundert wurden allein in Madagaskar mehr als 200.000 Menschen ihm Rahmen einer gigantischen Hexenjagd mit Giftordalen umgebracht. Zwischen 1980 und heute wurden etwa 20.000 ältere Frauen in Tansania ermordet und mehr als 5000 Menschen wurden während des Kampfes gegen das Apartheid-Regime und nach dessen Sturz in Südafrika getötet – tragischerweise unter Beteiligung der ANC-Jugendbewegung. In der Demokratischen Republik Kongo sind mehrere zehntausend Kinder zu einem Dasein als Straßenkinder verurteilt, weil sie der Hexerei beschuldigt wurden.

In vielen Gebieten treffen Anklagen alte Frauen, in anderen Männer oder Kinder. Alle werden beschuldigt, durch spirituelle Aktivität Tod, Krankheiten, Unfälle, Arbeitslosigkeit oder Armut zu verursachen. Hexen und Zauberer werden dabei vor allem aus der eigenen Familie oder dem nächsten Umfeld gefürchtet.

Generell ist der Glaube an Gott und Dämonen, Geister und Hexen im subsaharischen Afrika weit verbreitet, wie auch in den meisten anderen Teilen der Welt. Davon sind alle Religionen betroffen, das Christentum und der Islam in all ihren Varianten, und die traditionellen Religionen. Eine Frage ist daher, warum nicht viel mehr Menschen als Hexen verfolgt werden.
Hexereivorstellungen führen nicht automatisch zu Hexenjagden oder Hexereianklagen. Hexereianklagen können friedlich verlaufen. Hexenjagden sind in Ghana nur in bestimmten Regionen und Dörfern häufig – in anderen Regionen aber sehr selten.

Ghana

In Ghana halten die meisten Individuen Hexerei für eine Realität – weitgehend unabhängig von Einkommen, Konfession oder Bildungsgrad. Aber nur in wenigen Dörfern und Distrikten kommt es regelmäßig zu Hexenjagden. In anderen Dörfern und Regionen wurden die meisten Menschen schon einmal der Hexerei angeklagt und die meisten haben auch andere schon einmal angeklagt – ohne dass dies gravierendere Folgen hätte.

Im Norden Ghanas befinden sich indes acht Siedlungen für Hexenjagdflüchtlinge, die beiden größten bei Kukuo und Gnaani fassen je etwa 400 Menschen beiderlei Geschlechts, die anderen weitere 700 Individuen, zumeist Frauen. In Kukuo werden häufig Frauen angeklagt, sobald ihre Haare ergrauen. Die Anklage kann hier die weibliche Linie über Generationen hinweg verfolgen. In Gushiegu finden sich hauptsächlich Frauen der Konkomba. Die meisten wurden mit der Begründung angeklagt, sie würden eine andere Person im Traum verfolgen. Ein solcher Traum wird natürlich auch als Vorwand erfunden, erscheint den meisten aber als akzeptabler Beweis: Schließlich können niemand außer den Blutsverwandten einer Person ins Herz sehen und sicher wissen, dass die Person keine Hexe sei. Ist die Anklage einmal ausgesprochen, bleibt nur die Flucht oder das Exil.

Niemand hat hier Hoffnungen auf eine Polizei oder Gerichte, die sich beide nur ungern in “Familiäre Angelegenheiten” einmischen und mitunter Angst vor lokalen Aufständen haben. Manche fürchten auch, dass ihre Kinder von Zauberei oder Giften getötet würden, wenn sie nach der Anklage nicht freiwillig gehen. Physische Gewalt erfuhr in Gushiegu etwas mehr als die Hälfte der Flüchtlinge, sie wurden häufig mit Peitschen, Stöcken, Dornenbüschen verprügelt.

Erdpriester in Gambaga, Tindang, Kpatinga und an vielen anderen Orten bieten ein Hühnerordal an. Dazu wird ein Huhn geschlachtet, das die Angeklagte mitgebracht hat. Stirbt es auf dem Rücken, wird sie schuldig gesprochen. Stirbt es auf dem Bauch, akzeptieren die Götter ihre Verteidigung. Die Erdpriester sind in aller Regel nicht aktiv an Hexereianklagen beteiligt, zu den Ordalen kommt nur, wer bereits im Herkunftsort angeklagt wurde. Viele hoffen hier auf einen Freispruch. Meistens muss die Frau dann dennoch in eines der Asyle, weil das Stigma stärker ist als der Freispruch.

Literatur

Das Konvolut an wissenschaftlicher Literatur ist riesig, die folgende Auswahl bietet einen kleinen Einblick in das Phänomen:

Behringer, Wolfgang 2004: Witches and Witch-hunts. A global History. Cambridge: Polity Press.

Riedel, Felix 2012b: Children in African Witch-hunts. An Introduction for Scientists and Social Workers. Hg. von Witchcraft and Human Rights Network.
Via: http://www.whrin.org/wp-content/uploads/2012/12/childreninafricanwitchhuntsfinalversion-1-Felix-Riedel-2.pdf [1.12.2013].

Riedel, Felix 2010: Somatisierte Geister. Über Leckagen und medial vermittelte Krankheitskonzepte im ghanaischen Film. In: Internationale Zeitschrift für Philosophie und Psychosomatik 1/2010: „Religion und Religiosität“. Hg. von Wolfgang Eirund and Joachim Heil.
Via http://www.izpp.de/fileadmin/user_upload/Ausgabe-1-2010/04_1-2010_TS-Riedel.pdf [1.3.2012]

Riedel, Felix 2008: Die modernen Hexenjagden im subsaharischen Afrika. Darstellung und Vergleich mit dem Antisemitismus aus der Perspektive der Kritischen Theorie. Göttingen: Sierke Verlag.

Für Nordghana

Diese beiden Bücher wurden von Journalisten geschrieben, die 2008 und 2009 in den Ghettos recherchierten, sie sind exzellent und unterhaltsam geschrieben:

Haase-Hindenberg, Gerhard 2009: Die Hexe von Gushiegu. Wie afrikanischer Geisterglaube das Leben der Asara Azindu zerstörte. München: Wilhelm Heyne Verlag.

Palmer, Karen 2010: Spellbound. Inside West Africa’s Witch Camps. New York: Free Press.

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2 Gedanken zu „Moderne Hexenjagden

  1. Hallo,
    Ich habe 33 Jahre in Nordghana und Burkina Faso gelebt und bin über dieses große Problem im Bilde. Gott sei Dank wird ja doch schon etwas gegen diese Plage und Ungeechtigkeit getan. In Gushiegu ist die Kirche sehr engagiert und hilft den Frauen ihre Würde wieder zu erlangen, in Bawku und andere Orte kümmern sich Freiwillige und Organisationen um diese Frauen.
    In Burkkina FAso sind wir seit den 60ieger Jahren aktiv gegen diese Plage unterwegs, besonders in Ouagadougou im Zentrum Delwende. Wir können sagen, dass dort nach jahrzehtelangem Einsatz und Bewusstseinsbildung, nach Kontakten mit den Regierungen, Arbeit mit den Kirchen usw. viele Frauen ihre Würde weidergefunden haben und junge familienmitglieder ihre Großmütter zu sich nach Hause nehmen. Wenn vor 5 Jahren noch 400 Frauen in Delwende wohnten, so sind es heute noch 280 oder weniger. Acu das darf gesagt werden. Aber Veräderung von Glauben und kulturellen Gegebenheiten geschieht nicht in einem Jahr, auch nicht in 2. Man braucht viel Zeit, muss die Kultur der Menschen kenne, mit ihnen lange leben, ihr Vertrauen gewinnen, ihre Sprachen sprechen und behutsam mit ihnen Veränderung herbeiführen.

    1. Liebe Elisabeth Biela,

      vielen Dank für ihre Rückmeldung! Simon Ngota hat vor einigen Jahren das Zentrum Delwinde in Ouagadougou besucht. Wir freuen uns immer, mehr über die Ghettos in Burkina Faso zu erfahren!

      Felix Riedel

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