Akua

Akua[1] musste vor mehr als 20 Jahren ihr Heimatdorf verlassen und lebt seitdem mit etwa 70 Frauen, die ebenfalls der Hexerei angeklagt wurden, im Fluchtort von Gushiegu.

Akua wird als letztes von sechs Kindern in einem Dorf etwa eine Stunde Autofahrt von Gushiegu entfernt geboren. Außer ihr bringen ihre Eltern nur Jungen zur Welt. Ihre Eltern sind Kleinbauern und bestellen drei Felder mit Soja, Mais und Bohnen. Da es zu jener Zeit kaum Schulen im Norden Ghanas gibt und diese hohe Gebühren erheben, besucht sie nie eine Schule. Stattdessen arbeitet sie mit ihren Eltern auf den Feldern. Als sie erwachsen wird, finden ihre Eltern einen Mann für sie, in den sie sich verliebt. Sie verlässt das Elternhaus um zu ihm zu ziehen. Zusammen bewirtschaften sie mehrere Felder und bringen sieben Kinder zur Welt. Sie ist gerade mit dem achten Kind schwanger, als sie durch einen Neffen ihres Mannes der Hexerei bezichtigt wird. Dieser leidet unter psychischen Problemen, die auch dazu führen, dass er oft orientierungslos umherläuft und Familienmitglieder ihn suchen müssen um, ihn zurück zu bringen.

Eines Tages kommt er zu Akuas Haus und beschuldigt sie, ihn verhext und damit seinen Verstand geraubt zu haben.[2] Der Ankläger beginnt Akua zu drangsalieren und zu schlagen. Sie erleidet dabei schwere Kopfverletzungen. Als eines ihrer jüngsten Kinder sie zu verteidigen versucht, wird es ebenfalls Opfer der Schläge. Es sind ihre Verwandten, die sie schließlich retten können. Sie rufen zudem eine traditionelle Heilerin, welche den Jungen untersuchen und die Anklage überprüfen soll. Diese bestätigt Akuas Unschuld und weist den Peiniger an, die Frau nicht weiter zu schlagen. Sie behandelt ihn mit verschiedenen Kräutern, um seine Krankheit zu heilen. Heute geht es ihm besser. Doch Akua kann nach diesem Vorfall nicht länger im Dorf bleiben. Zu groß ist die Angst, dass es zu erneuten Anklagen gegen sie kommen könnte. Das Stigma, das Angeklagte umgibt, ist sehr stark. Auch wenn es an der Anklage Zweifel gibt, fürchten die Menschen die Angeklagte oder klagen sie beim nächsten Krankheitsfall wieder an. Daher flieht Akua in derselben Nacht zu einem ihrer Brüder, der in einem anderen Dorf lebt. Tatsächlich wird in derselben Nacht ihre Hütte von Unbekannten in Brand gesetzt. Die Flucht zu Fuß dauert wegen ihrer Verletzung die ganze Nacht. Dort angekommen, kann sie vorübergehend bei ihrem Bruder, seiner Frau und deren Kindern unterkommen. Schließlich bringt sie ihr letztes Kind zur Welt. Doch danach muss sie weiterziehen. Der Bruder und seine Frau wollen sie nicht für längere Zeit aufnehmen, auch zu ihrem eignenen Schutz. Im Dorf hat sich inzwischen herumgesprochen, weswegen sie mitten in der Nacht ihr Zuhause verlassen hat und zu ihrem Bruder gezogen ist. Die Leute sind misstrauisch und Gerüchte beginnen zu kursieren.

Akua macht sich mit ihrem Neugeborenen auf den Weg nach Gushiegu. Sie hat gehört, dass es dort ein Asyl für Ausgestoßene gibt, welche der Hexerei angeklagt wurden.

Die ersten Tage in Gushiegu sind besonders hart für sie. Sie weint Tag und Nacht und denkt ununterbrochen an ihre Kinder und wie diese ohne sie zurechtkommen sollen. Außerdem ist die Versorgungslage im Fluchtort schlecht, weshalb sie Angst um ihr Neugeborenes hat.

Akua verdient ihren Lebensunterhalt, wie viele Frauen im Fluchtort damit, andere bei der Feldarbeit zu unterstützen. Ist es Zeit zum Säen, hilft sie dabei und wird anschließend mit Geld entlohnt. Ist es Zeit zum Ernten, bezahlen sie die Bauern mit einem Teil ihrer Ernte. In der Trockenzeit hilft sie anderen dabei, ihre Häuser zu verputzen und verdient auch damit ein wenig Geld. Außerdem bekommt sie Unterstützung von ihren Kindern, die inzwischen alle erwachsen sind. Akua ist inzwischen erste Sängerin in der katholischen Kirche in Gushiegu. Von ihrer eigenen Gemeinschaft ausgestoßen, steht sie dort jeden Sonntag vor der Gemeinde und gibt den Ton an. Darauf ist sie sehr stolz.

Das Leben im Fluchtort ist zwar hart, sagt sie, aber trotzdem findet sie an manchem Gefallen. Hier fühlt sie sich sicher. Niemand wird sie hier anklagen, eine Hexe zu sein. Außerdem genießt sie den offenen Umgang mit anderen Frauen, die ein ähnliches Schicksal erlitten haben.


[1] Name geändert

[2] Psychische Erkrankungen werden in Ghana oft als Folge von Hexerei interpretiert. Die drei psychiatrischen Kliniken des Landes, welche gerade einmal 12 Psychiater und 600 Krankenpfleger beschäftigen, sind überfüllt. Bei geschätzt 2,8 Millionen Personen mit psychischen Störungen landesweit, erhält nur ein Bruchteil der Erkrankten eine psychiatrische Betreuung. https://www.hrw.org/news/2012/10/02/ghana-people-mental-disabilities-face-serious-abuse