Ama

Ama[1] ist heute etwa 55 Jahre alt und lebt seit zwölf Jahren im Asyl von Gushiegu.

Ama lebte ursprünglich in einem Dorf zwei Autofahrstunden von Gushiegu entfernt.  Als eines von sechs Kindern einer Bauernfamilie, besuchte sie keine Schule, heiratete früh einen Bauern. Sie brachte vier Kinder zur Welt. Beide bestellten ihre eigenen Felder. Außerdem führte sie eine Frauengruppe an, welche auf die finanzielle und gesellschaftliche Verbesserung der Position der Frauen im Dorf hinarbeitet.

Ihre Anklage trifft sie völlig unvorbereitet. An einem Sonntagmorgen ist ein verlängerter Gottesdienst mit Gebeten für Kranke in der Kirche im Dorf geplant. Ama geht , im Gegensatz zur Familie ihres Mannes, nicht zum Gottesdienst, da sie noch Arbeiten zu erledigen hat. Als für die Kranken und ihre Heilung gebetet wird, fällt ein junges Mädchen aus der Familie ihres Mannes zu Boden und zuckt. Dies ist nicht unüblich in diesen Gottesdiensten. Der Grund hierfür soll der Heilige Geist sein, welcher in die Person fährt, um sie zu heilen oder den Grund für ihre Krankheit anzuzeigen. Das junge Mädchen, welches seit längerem unter Schlafstörungen und Schmerzen leidet, sagt, dass Ama sie durch Hexerei attackiert und mit einer Krankheit angesteckt habe. Der Heilige Geist habe ihr das gezeigt. Ama sei eine Hexe und wolle die Familie ihres Mannes angreifen und zerstören. Diese Anklage wird vom Pastor der Kirche unterstützt und so werden Rufe nach Rache laut.

Ama weiß derweil nichts von der Anklage. Erst als sie mit ihrem Mann vom Feld nach Hause kommt, hört sie von den Ereignissen. Die beiden werden dort von einem Mob gestellt, der ein Geständnis von ihr fordert. Ihr Mann verhält sich außergewöhnlich und mutig, indem er sich vor sie und damit gegen seine Familie stellt, welche den Mob anführt. Doch führt dies dazu, dass er ebenfalls verdächtigt wird, von der Hexerei seiner Frau zu wissen und mit ihr gemeinsame Sache zu machen. Der Mob beginnt Ama zu schlagen, um ein Geständnis aus ihr heraus zu bekommen. Ihr Mann, der versucht sie zu verteidigen wird ebenfalls schwer verletzt. Schließlich tragen die Leute Ama aus dem Dorf, in die Nähe eines Flusses und foltern sie dort stundenlang. Sie wird getreten, bespuckt und wird mehrmals ohnmächtig. Schließlich fügen ihre Peiniger ihr auch noch mit Rasierklingen Wunden am kompletten Körper zu und lassen die ohnmächtige Frau zum Sterben zurück.

Zurück im Dorf entbrennt ein Streit zwischen dem Chief des Dorfes und dem Pastor und seinen Anhängern. Der Chief verurteilt die Gewalttat aufs Schärfste und lässt Amas Mann ins Krankenhaus bringen. Die Tote will er so schnell wie möglich irgendwo begraben lassen, bevor die Polizei auf sie aufmerksam wird. Die Gruppe um den Pastor weigert sich, die Frau zu begraben. Hexen sollen nicht begraben werden und der tote Körper soll anderen eine Warnung sein.

Ama wird nach sieben Stunden, in denen sie zwischen unerträglichen Schmerzen und Bewusstlosigkeit verletzt in der Sonne gelegen hat, von einem Freund ihres Mannes gefunden. Er stellt fest, dass sie noch am Leben ist und lässt sie so schnell wie möglich nach Gushiegu in ein Krankenhaus bringen. Sie entkommt nur knapp dem Tod. Nachdem sie nach mehreren Wochen das Krankenhaus verlassen kann, ist klar, dass sie nicht in ihr Dorf zurückkehren kann. Zu groß ist die Angst vor weiteren Gewalttaten oder neuen Anklagen. Aus diesem Grund lässt sie sich im Fluchtort bei Gushiegu nieder und lebt seitdem hier. Noch heute sieht man viele ihrer Verletzungen von damals. Über den kompletten Körper verteilt hat sie Narben, die von den tiefen Schnitten herrühren. Schlimmer sind die Verletzungen in ihrem Inneren. Während Ama ihre Geschichte und die ihrer Folter erzählt, zittert sie am ganzen Körper und weint, als könne sie die Schmerzen der Tritte immer noch fühlen. Seitdem ist sie nie wieder in ihr Dorf zurückgekehrt. Aber sie weiß von Bekannten, dass ihr Mann nach einer Woche aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Er wurde nicht so schlimm behandelt wie sie, weil vermutet wird, dass er von seiner Frau mit Hexerei verführt wurde ihr zu helfen und er damit ebenfalls ihr Opfer sei. Er stirbt zwei Jahre nach dem Vorfall.

Ob es sich bei der Anklage um ein Komplott der Familie ihres Mannes handelt, in der Absicht, sie loszuwerden, oder das Mädchen tatsächlich krank und von der Anklage überzeugt war, weiß Ama nicht. Sie weiß nur eines: dass sie keine Hexe ist, aber wahrscheinlich trotzdem ihr restliches Leben als Aussätzige, am Rande der Gesellschaft verbringen muss. An ihrem Leben im Fluchtort gefällt ihr die Unabhängigkeit von Männern und die Freundschaft zu den anderen Frauen. Allerdings vermisst sie ihre Kinder und träumt von einem normalen Leben, außerhalb des Fluchtortes. Ein Neuanfang an einem anderen Ort, als Frau, die der Hexerei beschuldigt wurde, ist nahezu unmöglich. In ihr Heimatdorf wird sie ebenfalls nie wieder ziehen können.


[1] Name geändert.

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